Ich habe eine gute Freundin, die seeeeehr schlau ist, die mal gesagt hat, dass es sowas wie die Work-Life-Balance nicht gibt. Denn Work gehört ja mit zum Life. Ich höre ja nicht auf zu leben
während ich arbeite, also darf ich einen Ausgleich in meinem gesamten Leben finden. Mit oder ohne Arbeit. Zuhause oder am Arbeitsplatz.
Ähnlich verhält es sich auch mit Essen und dem Leben. Es gehört zusammen, was ich die letzten Monate manchmal freudig, manchmal schmerzlich erfahren durfte.
Es kann kein Essen ohne Leben und kein Leben ohne Essen geben, dennoch betrachten wir häufig nur unser Essverhalten, nicht unser Lebensverhalten.
Im Gegensatz zum Work-Life-Dilemma. Ohne Arbeit lässt sich nämlich auch (teils) sehr gut leben. Ohne Leben, wird´s aber nichts mit der Arbeit.
Früher habe ich diese Denkweise als Esoterik und Quatsch abgetan. Man müsse sich nur einfach mehr am Riemen reißen, dann wird das alles schon werden.
Also habe ich an meinem nicht normkonformen Essverhalten angesetzt und versucht es in Regeln hineinzupressen. Es war aber als würde man versuchen einen Schlafsack wieder einzutüten. Hatte ich das
Essen "im Griff", rutschte auf der anderen Seite ein anderer Mechanismus raus, um meine Gefühle für mich handhabbar zu machen. Ein bis ein paar Feierabendbier zum Beispiel. Oder Shopping. Oder
Sport. Oder ein sehr aktives Datingleben. Alles nur um meine Gefühle im Zaum zu halten. Wenn ich dann aber doch mal die Backen zusammengekniffen habe und alles so lief wie ich und mein Umfeld und
die Diätindustrie sich das alles vorgestellt hat, hatte ich chronisch schlechte Laune, war zickig und gereizt und weder für mich, noch für meine Mitmenschen einfach auszuhalten.
Ich hätte an diesem Punkt auf verschiedene Lösungsansätze kommen können. Es hat aber nur zu "ich muss mich nochmal anstrengen" gereicht. Mittlerweile weiß ich, dass das ein systematisches und
gesellschaftliches Problem ist uind nicht mein Scheitern. Der andere Weg hätte sein können, dass ich bemerke, dass das so nicht zu funktionieren scheint und ich etwas Anderes ausprobieren
sollte.
Dort bin ich jetzt über ein Jahrzehnt später angekommen. Ich lass mein Essverhalten sein wie es ist und gucke mir mein Lebensverhalten an. Wie gehe ich mein Leben an? Was ist mir wichtig? Was ist
das Essen für mich eigentlich?
Auf die letzte Frage habe ich mittlerweile eine Antwort: Essen ist für mich eine Flucht aus der Realität, weil ich die nicht aushalten kann oder will. Da macht es plötzlich auch Sinn, wie ich
reagiert habe, wenn ich mir mein Essen wegnehme. Ich hatte Hunger, aber auf was, wenn nicht auf Essen?
Mein Leben und alles was es so ausmacht, mit den positiven und negativen Gefühlen, war einfach zu viel auf einmal für mich. Da half für mich nur die Flucht. Seitdem mir das bewusst ist und ich
mit meinem Essverhalten einen kurzzeitigen Waffenstillstand beschlossen habe, fällt mir sooooo viel auf, was ich sonst weg-gegessen hätte.
Zum Beispiel, dass ich mich auf der Arbeit überfordert und übersehen fühle. Wenn dieses Gefühl in mir aufkam, habe ich gegessen, um es nicht wahrnehmen zu müssen. Es macht doch aber viel mehr Sinn die Ursache anzugehen, als das Symptom. Also habe ich diese Gefühle bei meinem Vorgesetzten angesprochen. Leider ohne Erfolg. Ich solle doch einfach weniger arbeiten. Was meinen Hunger an dieser Stelle gestillt hat, ist die Abgrenzung der Überforderung gegenüber. Was ich noch gebraucht hätte, wäre Unterstützung durch meinen Vorgesetzten, gesehen und gehört und einfach mal ernst genommen werden.
Nun darf ich mich entscheiden, wie wichtig es mir ist respektvoll und wertschätzend behandelt zu und auch gesehen und nicht überfordert zu werden.
Es bleibt weiterhin spannend, wo mich mein Weg hinführt :)
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B. (Sonntag, 22 September 2024 17:32)
Gutes Bild, das mit dem Eintüten von dem Schlafsack. LG