Ich bin mit einer Freundin zum Frühstücken verabredet. Das Lokal hat sie ausgesucht, es soll eine reichhaltige Mahlzeit mit frischem Obst geben. Allein bei dem Gedanken daran läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Dann stehen wir vor dem Café und mir wird klar, dass es entweder die Möglichkeit gibt in stylischen Stühlchen mit Armlehnen zu sitzen oder auf einer Bierzeltgarnitur im Freien. Sofort überkommt mich Panik und das wohlige Gefühl von einem gemütlichen Essen ist passé.
Durch meinen Kopf hetzen Gedanken von schlechtem Gewissen meiner Freundin gegenüber über dem Gefühl ausgegrenzt zu sein zu Scham und Schuld. Was mache ich denn jetzt? Sage ich, dass ich gerne draußen auf der Bierzeltgarnitur sitzen würde, weil das Wetter so… naja. Schön wäre übertrieben… ist? Oder dass wir vielleicht woanders hingehen, weil mir das Essensangebot nicht zusagt? Ich fühle mich wortwörtlich in die Enge getrieben und die Schamesröte steigt mir ins Gesicht. Verdammt. Ich werde wütend. Wieso achtet meine Freundin nicht darauf, dass wir ein Lokal besuchen, in dem ich auch bequem einen Sitzplatz finde?! Wie rücksichtslos von ihr!
Es dauert bis mir bewusst wird, dass ich die Einzige bin, die Verantwortung für mich und mein Wohlergehen trägt und ich besinne mich über meine Gefühle zu sprechen. „Du? Ich fühle mich unwohl. Ich weiß nicht, ob ich in die Stühle passe. Das ist mir sehr unangenehm. Könnten wir bitte woanders hingehen?“ Zack. Der Druck ist raus und natürlich hat meine Freundin Verständnis, sonst wäre sie alles, nur nicht meine Freundin.
Das ist eine von vielen Situationen in die ich als mehrgewichtiger Mensch geraten kann. Egal ob es nun das zu enge Autositz ist, bei dem einem der Anschnaller ins Fleisch drückt oder der mangelnde Platz für mich alleine in öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Kino. Immer ist da die Angst im besten Fall nicht hineinzupassen oder vielleicht nur unbequem zu sitzen. Im schlimmsten Fall geht was kaputt: Der Stuhl macht eine Grätsche, der Autositz hat sich dauerhaft meiner Körperform angepasst und die Füllung rieselt heraus, das Lattenrost bricht durch. Jedes Mal schäme ich mich, als wäre es mein eigenes Verschulden oder gar Absicht gewesen. Ich passe halt nicht rein. Selbst Schuld, Fettie.
Seit ich einen gewissen Grad an Selbsterkenntnis gewonnen habe, weiß ich, dass es nicht um Schuld geht. Es geht um Verantwortung und wenn ich möchte kann ich sie für mich übernehmen. Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Ich kann dafür die Verantwortung übernehmen wie ich damit umgehe, dass meine Eltern und Großeltern mich als Kind nicht so versorgt haben, wie ich es gebraucht habe. Sie haben mich zum Beispiel mit Essen/Süßigkeiten vor den Fernseher gesetzt, wenn sie keine Zeit oder Lust hatten mir Aufmerksamkeit oder Geborgenheit zu schenken. Das habe ich bis heute übernommen und es löst ein so tiefes Gefühl der Sicherheit aus, dass es mir schwer fällt etwas zu finden, was mich ähnlich nährt. Und ich weiß dass ich die Einzige bin, die diesen Status Quo ändern kann.